n
Freiheit
Prof. Dr. M. Shama
Die moderne Kultur stellt viele Devisen auf und propagiert,
dass siefür den Menschen verwirklicht habe, was für ihm im Laufe der
menschlichen Geschichte nicht erreichbar war. Zu diesen Devisen gehört ihre Behaup-tung, dass sie die Regeln der Freiheit in der Gesellschaft
verankert und deren Stützpfeiler in den menschlichen Gesellschaften gefestigt
habe. Nachdem im Altertum der Mensch für den Stammesführer und später für die Könige
und Fürsten zum Sklaven gemacht worden sei, sei er heute in seinem Leben frei
und könne dieses gestalten, wie er wolle und auf welche Weise er wünsche. Ja
was sogar den ersten Platz bei den modernen Infor-mationsmitteln einnimmt und
das Interesse vieler politischer Analytiker und Nachrichten kommentatoren gewinnt,
ist die Konzentration auf die Freiheit des Menschen in dem, was er glaubt, und
die Zusicherung seines Rechtes auf die Äusserung seiner Gedanken und Meinungen
ohne Furcht vor einem Herrscher oder Angst vor einem Präsidenten. Denn in der
westlichen Kultur kann man seine Meinung in allen Lebensbereichen äussern,
selbst wenn man dabei Machthabern und Herrschern widerspricht, wie auch immer
deren Stärke und Macht seien.
Diese Ansicht
hat sich trotz dessen, was sie an mit der Wahrheit nicht zu vereinbarenden
Übertreibungen enthält, im Verstand der Menschen bis zu einem solchen Ausmass
gefestigt, dass diese dahin kamen die Gesell-schaften und Völker auf der Basis
dessen zu bewerten, dessen sich deren Individuen im Bereich auf dem Gebiet von
Äusserung und Kritik erfreuen. Sehen sie eine Gesellschaft unter Kontrolle
einer Ordnung, die keine Äusserung erlaubt oder keine Kritik akzeptiert,
schauen sie auf sie von oben herab, das heisst sie halten sie für eine der
zurückgebliebenen Gesellschaften, die auf den Stufen der Kultur noch nicht bis
zur Achtung der persönlichen Freiheit und zum Anerkennen des Rechts des
Menschen auf lautes Denken emporgestiegen sind. Sie betrachten das als den
ersten und HauptBaustein im Fortschritt und Aufstieg. Denn wer keine
Rede-freiheit hat, für den ist es undenkbar, dass er über Voraussetzungen für
einen kulturellen Aufbau verfügt.
Von diesem
Konzept ausgehend klassifizieren sie die Gesellschaften gemäss deren Sicht des
Freiheitsproblems und unterscheiden zwischen ihnen auf der Basis der Kraft der
geistigen Bewegung in ihnen und der Stärke deren geistigen Auseinandersetzung
mit dem, was in ihnen an gegenseitigem Aneinanderstossen, Diskussion und
Konkurrenzkampf auf geistiger Ebene stattfindet, wobei davon alle Energien
herrühren, die die verschiedenen Sektoren der Gesellschaft mit dem versorgen,
was sie stän-dig vorwärtstreibt. So entwickeln sie sich weiter und erneuern sich
ununter-brochen oder sie sinken in sich zusammen oder erstarren. Denn die
Gedan-ken -freiheit weicht ihre Starrheit auf, verhindert ihren Stillstand und
wirkt auf die Kontinuität ihres Vorwärtstreibens hin; sie kennen also keinen
Punkt, an dem sie verweilen, sondern setzen den Vormarsch unendlich fort.
Wenn wir nach
der Position der islamischen Gesellschaften in der Vorstellung dieser Leute
suchen, finden wir, dass sie sie in diesem Bereich ans Ende der Liste der
Klassifizierung der Gesellschaften
gelegt haben, indem sie behaupten, dass es sich um Gesellschaften handle, deren
Indivi-duen keinerlei Art persönlicher Freiheit geniessen. Denn der Bürger kann
seine Meinung darüber, was um ihn an Ereignissen vorkommt, nicht äussern,
selbst wenn diese direkt von seinem Leben abhängen. So entschei-det innerhalb
der Familie der Vater den Werdegang seiner Kinder ohne Rücksicht auf deren
Wünsche, in einigen Fällen sogar ohne deren Meinung zu hören. Es ist kein
Übertreiben, wenn wir sagen, dass viele Väter gar nicht versuchen die Neigungen
ihrer Kinder zu erkennen, und sei es durch Beobachtung von weitem. Der Vater
praktiziert also mit ihnen absolute „Diktatur“. So entwirft er für sie deren
Lebensverlauf und legt für sie den Weg deren Zukunft fest, ja zuweilen mischt
er sich sogar in unverhüllter Form in deren Anspornen zur Bevorzugung einer
Art von Essen gegenüber einem anderen ein.
Ebenso
behandelt der Mann seine Frau in der Annahme, sie gehöre ihm. So ignoriert er
ihre Empfindungen, erklärt ihren Willen für wirkungslos und lehnt ihre Meinung
beim Fassen der Beschlüsse ab, die den Werdegang der Familie bestimmen.
Dieses Bild
stellt die Reflexion der allgemeinen Erscheinung in der Gesellschaft
hinsichtlich dessen dar, was es an Beziehungen zwischen Herrschendem und
Beherrschtem, Herrscher und Untertanen, ja sogar zwischen Lehrer und Schüler in
den Schulklassen und Sälen der wissen-schaftlichen Forschung gibt.
Trotz dessen,
was darin an Übertreibungen ist – dahin hat sie ihr Unwi-ssen über die
Philosophie der Traditionen und Sitten in der islamischen Gesellschaft
gebracht. Unser Interesse erregt nun aber, dass sie diese Erscheinungen mit dem
Islam verbinden und dann einen Schluss des Inhalts ziehen, dass der Islam keine
Freiheit in der Gesellschaft anerkenne, sei es nun im Umkreis der Familie oder
auf der Ebene des öffentlichen Lebens. Denn er gebe dem Vater das Recht auf
Erziehung seiner Kinder auf eine Weise, die ihnen die Äusserung deren Meinungen
– insbesondere beim Widerspruch zu dessen Meinung – und Besti-mmung deren
Zukunft nicht erlaube. Ausserdem lasse er die Frau zum Eigentum des Mannes
gehören, der über sie verfüge, als ob er sein Hab und Gut verwalte.
Ohne Zweifel
tritt diese Vorstellung trennend zwischen sie und den Islam, denn sie hält sie
vom Nachdenken über die Lehren des Islam ab und als Folge denken sie nicht
daran ihn als Religion anzunehmen.
Inwieweit stimmt diese
Vorstellung hinsichtlich des Islam?
Und ist es möglich, dass das Leben der Muslime in den islami-schen
Gesellschaften ein wahrhaftes Bild des Islam darstellt, so dass man es für ein
islamisches Musterbeispiel hält, das Nicht-Muslime zum Denken an ihn
veranlasst – jenes Denken, das sie zu dessen Annahme führt?
Es ist nicht
richtig, was unter der breiten Masse verbreitet wird, dass der Islam dem Mann
bei der Anleitung seiner Kinder absolute Freiheit ohne irgendeine Rücksicht auf
deren Neigungen und Orientierungen gibt. Der Gesandte GOTTes (GOTT segne ihn
und schenke ihm Heil!) erläuterte den Muslimen die Entscheidung in dieser pädagogischen
Frage, über die Fach-leute früher und heute verschiedener Meinung waren und
sind. Er (GOTT segne ihn und schenke ihm Heil!) sagte: „Spiele mit deinem Sohn
sieben Jahre, erziehe ihn sieben Jahre und sei ihm sieben Jahre ein Gefährte;
dann lass ihm die Zügel schiessen!“ Man stellt in diesem Habit fest, dass die
prophetische Anleitung auf Grundlage der Anforderungen einer jeden Lebensphase
des Menschen beruht. So erläuterte er, dass zum Kindheit-salter Spiel und Spass
passen. Wenn der Junge das Alter von sieben Jahre erreicht – das ist das
verständige Reifealter –, soll er auf eine Weise erzo-gen werden, die in seiner
Seele Prinzipen und Werte pflanzt und in dieser ein Verfestigen der Bräuche
und Traditionen veranlasst, damit er von diesen nicht abweicht und so seine
Lage schlechter und sein Leben unruhig wird und dadurch seine Persönlichkeit
vernachlässigt wird und seine Wesenheit in der Gesellschaft verschwindet.
Wenn er die
dritte Phase erreicht, also vierzehn Jahre alt wird, soll der Vater bei seinen
Anleitungen und Ratschlägen beachten, dass er mit einem Menschen spricht, der
zum Überdenken und Abwägen verschiedener Optionen fähig ist; hat er doch eine geistige Reife erreicht,
die ihm das Begreifen negativer und positiver Punkte ermöglicht. Am wichtigsten
ist, dass er in dieser Phase jemanden braucht, der sie ihm kraft dessen
Erfah-rung erläutert. Zu den ersten, die sie ihm erläutern, gehört der Vater,
dann noch die Schule sowie Bildungsinstitutionen und Informationsquellen in der
Gesellschaft.
Und weil diese
Phase die gefährlichste Altersphase ist, in der der Jüngling zur
Selbstbestätigung neigt, lehnt dieser alles ab, was in sich den Charakter des
Befehls und der Verpflichtung enthält und murrt über jede Bevormundung, die man
ihm auferlegt. Der Gesandte GOTTes (GOTT segne ihn und schenke ihm Heil!) riet
den Vätern, dass deren Verhalten mit der jungen Generation in dieser Phase
nicht auf der Basis von Befehl und Gehorsam beruht, der Vater also befiehlt und
der Sohn oder die Tochter ohne Diskussion zu gehorchen hat; vielmehr riet er
ihnen, dass die geistige Auseinandersetzung zwischen ihnen beiden auf der
Grundlage von Bera-tung und Betreuung und nicht von Verpflichtung durch die
eine Seite und Gehorsam durch die andere Seite beruhen soll, damit der Sohn –
oder die Tochter – nicht unterdrückt wird und dann platzt und gegen den Vater
rebelliert oder eine Ausgleichsaktion zwischen der Seite des Druck Ausübenden
seitens des Vaters und dem in ihm liegenden Kräftegleich-gewicht zur Selbstbestätigung
unternimmt, so dass er in etwas gerät, was einer Persönlichkeitsspaltung
ähnelt. Denn er tut vor seinem Vater so, als ob er sich dessen Anordnungen
füge, aber wenn er weit dessen Blicken entschwunden ist, unternimmt er alles,
was sein Selbst bestätigt, ohne sich darum zu scheren, was daraus an negativen
Auswirkungen entsteht. Ja, die heftige Reaktion auf die
Unterdrückungssituation, die ihn in der Anwesen-heit seines Vaters umgibt, lässt
ihn sogar spontan und gereizt auf das, was ihm diktatorisch verwehrt wurde,
losstürzen, sobald er sich von seinem Vater entfernt und wie oft er Zeiten weit
von der Aufsicht des Vaters ver-bringt.
Deshalb
erläuterte der Gesandte GOTTes (GOTT segne ihn und schenke ihm Heil!) den
Muslimen, dass ihre Erziehung ihrer Kinder in dieser Phase auf der Basis von
Verständnis und Beratung beruhen soll, als ob sie beide Freunde wären, und
nicht auf der Grundlage von Zwang und Verpflichtung. Betrachten wir seine (GOTT
segne ihn und schenke ihm Heil!) Worte: „… sei ihm sieben Jahre ein Gefährte
...“, das heisst nimm ihn als Gefährten und Freund! So wie es zwischen Freunden
keinen Zwang von einer Seite und keine Verpflichtung von anderer Seite gibt, so
gelangt man in jeglicher beide betreffenden Angelegenheit auf der Basis von Ratschlag
und Verstän-dnis nach Diskussion und Beratung zu einem Beschluss. Auf diese
Weise soll das Beziehungsmerkmal zwischen Vater und Sohn in der dritten Phase
sein, die im Alter von vierzehn Jahren anfängt. Danach kommt die Phase der
vollen Unabhängigkeit vom Vater, die im einundzwanzigsten Lebens-jahr anfängt,
da seine Reife nun abgeschlossen ist. Er hat also die Fähigkeit zu begreifen
und zwischen Gutem und Bösem sowie zwischen Nützlichem und Schädlichem zu
unterscheiden.
Ich glaube,
dass niemand nach dieser Erläuterung sagen kann, der Islam neige zur Diktatur –
indem er auf das hinweist, was er in der zeitgenössi-schen islamischen
Gesellschaft an Willkür der Väter gegenüber deren Kindern und an Ausübung von
Diktaturherrschaft bei deren Erziehung und Anleitung sieht. Denn was die
Muslime praktizieren, ist kein Beweis gegen den Islam, weil sie – wie alle
Völker der Erde bei der Anwendung der Glaubensprinzipien – vielleicht aus
Unwissenheit oder in Befolgung von Traditionen, die keine Beziehung zum Islam haben, abweichen. Vielleicht sind die Merkmale des Islam als Folge politischer,
wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Faktoren verborgen.
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