Problematik der Polygamie in
der drei Religionen
Das
Problem der Polygamie tritt, durch die gesellschaftsbedingte Emanzipation der
Frau, heutzutage sehr stark in den Vordergrund. Fragen zur Polygamie sind
Gegenstand der Diskussionen zwischen den Vertretern der Frauenemanzipation und
den Gelehrten des islamischen Rechtes geworden. Die Gegner der
Frauen-emanzipation sehen die Monogamie als ein Mittel zur Verbreitung der
Prostitution in der Gesellschaft, welches ein Verstoss gegen die Gebote im Islam bedeutet.
Die
Befürworter der Emanzipation der Frau meinen jedoch, dass Polygamie ein Zeichen
der Rückständigkeit und der Erniedrigung der Frau bedeutet. Denn je niedriger
das Bildungs-niveau der Frau ist, desto mehr verbreitet sich Polygamie; vor
allem wenn der Mann imstande ist, seine Frauen in materiellem Wohlstand leben
zu lassen. Mit zunehmendem Bildungsniveau der Frau verschwindet auch allmählich
die Polygamie, da eine ausgebildete Frau nur selten mit dieser
Gesellschaftsform für sich selbst einverstanden ist; ganz allmählich tritt dann
die Monogamie als gesell-schaftliche Ethik ein. Auch von Seiten des Mannes,
der, soweit es die materiellen Aspekte betrifft, sich nicht mehrere Frauen
leisten kann.
Von
der konservativen Seite werden diese Gründe abgelehnt und als falsch
zurückgewiesen. Sie begründen dies einmal damit, dass die Polygamie ein
Sozial-phänomen ist. Zum anderen, dass Polygamie seit eh und je praktiziert
wird und beinahe bei allen Völkern und anderen Religionen neben dem Islam vorkommt.
Die
Polygamie wird jedoch in den verschiedenen Gesellschaften unterschiedlich
ausgeübt. Im Islam ist sie gesetzlich durch einen Ehevertrag erlaubt. In
Gesell-schaften, in denen Monogamie herrscht, wird die Polygamie auch ausgeübt,
nur in etwas anderer Form. Wie z. B. eine nebeneheliche Beziehung, oder auch
der Austausch der Ehepartner untereinander, sowie freie sexuelle Beziehungen
mit mehr als einem Partner. Alle diese Fälle gelten in Gesellschaften mit
Monogamie als Freiheit jedes Einzelnen und sind normale Tatbestände in der
Gesellschaft.
Die
islamischen Rechtsgelehrten und Befürworter der Polygamie finden solche
Vorkommnisse unbegreiflich und sehen darin keine Emanzipierung der Frau mit der
Begründung, dass in der islamischen Gesellschaft die Polygamie eine soziale
Notwendigkeit zum Schutz der Frau ist. Da viele Frauen in der islamischen Gesellschaft
bis heute im Zustande der Verachtung und Demütigung leben, ist die Monogamie
nicht einwandfrei befürwortet. Die Gefahr einer Herabsetzung ihrer Werke ist
als Unverheiratete grösser als verheiratete Frau. Die Erlaubnis des Mannes zur
Polygamie bewahrt sie vor dieser Herabsetzung und gibt ihr ein geachtetes
Eheleben, in dem sie ihre Rechte, Würde und Selbstachtung erhält.
Jedoch
werden wir selten in einer Gesellschaft mit männlichem Überschuss eine Frau
finden, die die Rolle der zweiten Frau akzeptiert. Daher finden wir in solchen
Gesellschaften die Polygamie fast ausgestorben. Genauso wie in Gesellschaften
mit gleichem Anteil beider Geschlechter. Bei auftretendem Frauenüberschuss
jedoch würden entstehende Probleme wie folgende gelöst:
Gehen
wir davon aus, in einer monogamen Gesellschaft zu leben, so gäbe es (bei
Frauenüberschuss) für viele Frauen keine Möglichkeit zu heiraten und das
bedeutet ein Leben ohne Geschlechtsverkehr, welches wider der Natur ist.
Würde
die Frau ihre natürlichen Begehren mit einem verheirateten Mann befrie-digen,
so sei das für sie eine Schande und eine Beraubung der Rechte der Ehefrau
dieses Mannes. Ehrenhafter für die Frau ist die Rolle der zweiten Frau; sie
wird somit durch das Gesetz geschätzt und von der Gesellschaft anerkannt.
Für
die erste Frau dieses Mannes wiederum bedeutet dies ein Leben ohne Furcht, dass
ihr Mann fremdgehen könne. Denn durch die Heirat einer Zweitfrau (bzw. bis zu
vier Frauen) ist der Frau genau bekannt, bei wem sich ihr Mann aufhält.
Genannte
Gründe der Notwendigkeit der Polygamie in der Gesellschaft sind nicht nur
Schutz gegen Geschlechtskrankheiten, sondern lösen auch das Problem des
Frauenüberschusses.
Nicht nur der Islam, auch Judentum und Christentum erlauben die Polygamie.
Im Alten
Testament (AT) steht, dass Salomon 700 Frauen und 300 Sklavinnen gehabt haben
soll. „Aber der König Salomon liebte viele ausländische Weiber ... und er hatte
siebenhundert Weiber zu Frauen und dreihundert Kebsweiber.“[1]
Auch
Jacob hatte zwei Frauen zur gleichen Zeit, Rahiel und Lea und zwei Kebsweiber,
Silpa und Ṣilla.
Nicht
nur die Propheten hatten mehrere Frauen zur gleichen Zeit, auch der einfache
Mann im Volke. Im AT steht:
„Lamech
aber nahm zwei Weiber; eine hiess ᶜAdah, die andere Ṣillah ... und Lamech
sprach zu seinen Weibern ʿĀdah und Ṣillah: Ihr Weiber
Lamechs höret meine Rede und merket, was ich sage: ...“[2]
Dieser Text zeigt deutlich, dass die
Polygamie im AT bei den Juden erlaubt und praktiziert wurde.
Für
die Christen sind die Gebote des AT Pflicht, denn Jesus sagte im Neuen
Testament (NT): „Ihr sollt nicht wähnen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder
die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu
erfüllen. Denn ich sage euch wahrlich: Bis dass Himmel und Erde vergehen, wird
nicht vergehen, der kleinste Buchstabe noch ein Tüpfelchen vom Gesetz, bis dass
es alles geschehe.“[3]
Was bedeutet hier das Wort „Gesetz“, das
Jesus nicht kam um aufzulösen, sondern zu erfüllen?
Mit
„Gesetz“ sind die Thora und deren Gottesgebote gemeint. Insofern sind die
Christen angewiesen, sich an die Gebote im AT zu halten, sofern keine Änderung
im NT gegeben wurde.
Ethelbert
Stauffer sagte in seinem Buch „Die Botschaft Jesus damals und heute“, dass sich
die Botschaft Jesus auf Ethik konzentrierte. Sie „die Botschaft“ hat weder
Gesetze erlassen, noch Angaben zu gesetzlichen Regelungen gegeben. Das beweist
er uns durch das, was in Lukas steht:
„Es
sprach aber einer aus dem Volk zu ihm: Meister, sage meinem Bruder, dass er mit
mir das Erbe teile. Er aber sprach zu ihm: Mensch, wer hat mich zum Richter
oder Erbteiler über euch gesetzt?“[4]
Weiter
werden uns von Stauffer einige Gebote aus dem NT genannt, die das AT
annullieren. Zu unserem Thema erwähne ich zwei dieser Gebote:
1) Die Qomranleute
nehmen es mit mosaischen Ehegesetzen (Ehebruch) beson-ders genau.
„Wer
die Ehe bricht mit jemandes Weibe, der soll des Todes sterben, beide,
Ehebrecher und Ehebrecherin, darum, dass er mit seines Nächsten Weibe die Ehe
gebrochen hat. Wenn jemand bei seines Vaters Weibe schläft, dass er seines
Vaters Blässe aufgedeckt hat, die sollen beide des Todes sterben; ihr Blut sei
auf ihnen. Wenn jemand bei seiner Schwiegertochter schläft, so sollen sie beide
des Todes sterben; denn sie haben eine Schande begangen; ihr Blut sei auf
ihnen.[5]
Jesus
aber begnadigte die Ehebrecherin, die nach Moses den Tod verdient. Das NT sagt:
„Aber
die Schriftgelehrten und Pharisäer brachten eine Frau zu ihm, im Ehebruch
ergriffen, und stellten sie in die Mitte und sprachen zu ihm: Meister, diese
Frau ist ergriffen auf frischer Tat im Ehebruch. Moses aber hat uns im Gesetz
geboten, solche zu steinigen. Was sagst du? Das sprachen sie aber, ihn zu
versuchen, auf dass sie eine Sache wider ihn hätten. Aber Jesus bückte sich
nieder und schrieb mit dem Finger auf die Erde. Als sie nun anhielten, ihn zu
fragen, richtete er sich auf und sprach zu ihnen: Wer unter euch ohne Sünde
ist, der werfe den ersten Stein auf sie.
Und bückte sich wieder nieder und schrieb auf die Erde. Da sie aber das
hörten, gingen sie hinaus, einer nach dem anderen, von dem Ältesten an; und
Jesus ward allein gelassen und die Frau in der Mitte stehend. Jesus aber richtete
sich auf und sprach zu ihr: Weib, wo sind sie, deine Verkläger? Hat dich
niemand verdammt? Sie aber sprach: Herr, niemand. Jesus aber sprach: So
verdamme ich dich auch nicht; gehe hin und sündige hinfort nicht mehr.“[6]
2) Das zweite Gebot, was sich im NT vom AT
unterscheidet, ist die Eheschei-dung.
Im AT
ist die Ehescheidung erlaubt:
„Wenn
jemand ein Weib nimmt und ehelicht sie und sie keine Gnade findet vor seinen
Augen, weil er etwas Schändliches an ihr gefunden hat, so soll er einen Schei-debrief
schrei-ben und ihr in die Hand geben und sie aus seinem Hause entlassen.“1
Das NT
verbietet die Scheidung und sagt folgendes:
Da
traten zu ihm die Pharisäer, versuchten ihn und sprachen: Ist es auch recht,
dass sich ein Mann von seiner Frau um irgendeiner Ursache willen scheide? Er
antwortete aber und sprach : Habt ihr nicht gelesen, dass, der am Anfang den
Menschen geschaffen hat, schuf sie als Mann und Weib und sprach (1. Mose,24)
„Darum wird ein Mensch Vater und Mutter verlassen und an seinem Weibe hangen,
und werden die zwei ein Fleisch sein.“
So
sind sie nun nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch. Was nun Gott zusammen-gefügt
hat, das soll der Mensch nicht scheiden.
Da
sprachen sie: Warum hat dann Mose geboten, einen Scheidebrief zu geben, wenn
man sich scheidet? Er sprach zu ihnen: Mose hat euch erlaubt, euch von euren Frauen
zu scheiden, um eueres Herzens Härtigkeit willen; von Anbeginn ist es nicht so
gewesen. Ich aber sage euch: Wer sich von seiner Frau scheidet, es sei denn um
der Hurerei willen, und freit eine andere, der bricht die Ehe. Da sprachen die
Jünger zu ihm: Steht die Sache eines Mannes mit seiner Frau so, dann ist es
nicht gut, ehelich zu werden.[7]
In
Stauffers Aufzählungen der Gebotsabweichungen im AT und NT gibt er uns keinen
Hinweis darauf, dass Jesus die Polygamie verbot.
Die
Kirche stützt sich zwar beim Polygamie verbot auf Texte aus dem NT, ist aber in
ihrer Auslegung weit entfernt von der philologischen Bedeutung. Einige dieser
Texte sind folgende:
1) Die
christlichen Theologen[8]
behaupten, dass mit der Aussage Jesus „... und an seinem Weibe hangen“
(Matthäus 19, Vers 3 - 6), ein Verbot der Polygamie gemeint ist. Sie haben
vergessen, dass es sich bei der Aussage Jesus um die Singularform gehandelt
hat. Dementsprechend wie es die Grammatik verlangt, werde auf eine Frage in der
Singularform mit der Sigularform geant-wortet. Das bedeutet also, dass man aus
diesem Text nicht ein Verbot der Polygamie verstehen kann; Polygamie ist eine
Mehrzahlform.
2) Maḥfūẓ übersetzt uns aus
dem NT folgendermassen:
„Wer seine Frau
scheiden lässt und eine andere heiratet, wird Ehebruch begehen. Und wer die
geschiedene Frau heiratet, wird Ehebruch begehen.“
Dazu erklärt Maḥfūẓ, dass dieser Text
von der christlichen Kirche als Beweis des Polygamie Verbotes angeführt wird
und sagt wörtlich:
"Es ist bekannt, dass
es kein Ehebruch des Mannes ist, solange er mit der ihm lebenden Frau einen
Ehevertrag hat. (Scheidung ist im Christentum verboten) Und da das Zusammenleben
mit einer Zweitfrau in der christlichen Religion als Ehebruch betrachtet wird -
wie obiger Vers lautet - ist die Polygamie absolut verboten."
Die Auslegung von Maḥfūẓ zu obigem Text aus
dem NT ist nicht richtig. Denn, wenn aus dem ersten Satz zu verstehen wäre,
dass der Mann durch die Heirat einer zweiten Frau Polygamie begeht, so ist das
nicht aus dem zweiten Satz zu verstehen. Denn es kann sein, dass die
Geschiedene für denjenigen, der sie dann ehelicht, die erste Frau ist. Also
muss somit von Ehebruch, nicht von Polygamie gesprochen wer-den, da die
christliche Kirche die Scheidung nicht akzeptiert.
Der von Maḥfūẓ angegebene Text
wurde von ihm falsch zitiert; in Matthäus steht: Es ist auch gesagt (5. Mose,
24, 1): „Wer sich von seiner Frau scheidet, der soll ihr einen Scheidebrief
geben.“ Ich aber sage euch: „Wer sich von seiner Frau scheidet, es sei denn
wegen Ehebruchs, der macht, dass sie die Ehe bricht; und wer eine Geschiedene
freit, der bricht die Ehe.[9]
Dieser Text besagt eindeutig das Verbot der
Ehescheidung, nicht aber der Poly-gamie.
3) Paulus schrieb in seinem 1. Brief an die Korinther:
Doch um der Unkeuschheit
willen habe ein jeglicher seine eigene Frau, und eine jegliche ihren eigenen
Mann. Der Mann leiste der Frau die schuldige Pflicht, desglei-chen die Frau dem
Manne.[10]
Maḥfūẓ legt diesen Text folgendermassen
aus:
Die Kirche stützt sich bei
diesen Versen auf ein Verbot der Polygamie und behau-ptet, dass daraus
hervorgeht, dem Manne sei befohlen, nur mit einer Frau zu leben.
Diese Schlussfolgerung ist philologisch falsch. Es
heisst doch „... ein jeglicher seine eigene
Frau ...“ und nicht seine einzige
Frau. Um diese Auslegung noch besser zu verstehen, gebe ich nur folgendes
Beispiel an: Auf einem Tisch liegen mehrere Bücher und ich fordere die
Studenten auf, jeder soll sein eigenes Buch nehmen. Dann könnte es geschehen,
dass ein Student zu mehr als einem Buch greift, denn es sind seine eigenen. Die
Paulusaussage „ein jeglicher seine eigene Frau“ kann also mehr als nur eine
Frau meinen. Das Paulusgebot ist ein Verbot der Ehebrechung. Ein jeder soll sich
mit seiner oder seinen angeheirateten Frauen begnügen. Die Beziehung zwi-schen
Mann und Frau soll sich im Rahmen der Ehe bewegen.
Aus allen vorher angeführten
Beispielen geht klar hervor, dass es für ein Verbot der Polygamie seitens der
Kirche keine eindeutigen Beweise gibt.
Es wäre nun zu fragen, woher das Verbot zur Polygamie
im christlichen Dog-ma kommt?
Westermark antwortet auf
diese Frage und sagte: „Bei vielen Völkern - in vorchri-stlicher sowie neuerer
Zeit -, sei es in primitiven sowie zivilisierten Kulturen, bestand das System
der Monogamie. In alter Zeit bei den Griechen und Römern und dann auch in neuer
Zeit bei den Europäern in Amerika und Australien. Das Chris-tentum fand dieses
System ideal, obwohl kein eindeutiger Text im NT dazu steht. Als in
frühchristlicher Zeit sich das Christentum in Europa verbreitete, beliess die
Kirche es bei der Tradition der Monogamie. Später dann hat man versucht,
Beweise zum Polygamie verbot aus dem NT zu bringen, was zu angeführten Versen,
die nicht eindeutig sind, führte.
Die Monogamie ist also keine
Erscheinung der Neuzeit, sondern bestand bereits vor dem Christentum. (Vgl. Wāfī: Geschichte der Heirat und Ehelosigkeit in der Welt, S. 57)
In unseren Tagen wird die
christliche Lehre sehr unter-schiedlich praktiziert. Z. B. herrscht unter den
Christen in Schwarzafrika die Polygamie und um noch weiter zu gehen, führe ich
nur an, dass ein katholischer Priester im christlichen Afrika heiraten darf,
was seinem Bruder in z. B. Europa verboten ist; dies hat der Zweck Anhänger
nicht zu verlieren, sondern dazu zu gewinnen.
Im Qurʾān ist
nur aus einem Vers die Erlaubnis zur Polygamie zu verstehen.
Er lautet: „Und gebt den
(eurer Obhut anvertrauten) Waisen ihr Vermögen und (dabei) tauscht nicht etwas
Schlechtes gegen etwas Gutes aus, zehrt nicht ihr Vermö-gen auf, indem ihr es
eurem eigenen zuschlagt! Das wäre eine schwere Sünde. Und wenn ihr fürchtet in
den Sachen der (eurer Obhut anvertrauten weiblichen) Waisen nicht recht zu tun,
dann heiratet, was euch an Frauen gut ansteht, (ein jeder) zwei, drei oder
vier. Und wenn ihr fürchtet, (so viele) nicht gerecht zu behandeln, dann nur
eine, oder was ihr an Sklavinnen besitzt.“ (4,2 f) Dieser Vers wird in
vierfacher Weise ausgelegt:
1) Wenn jemand
begüterte weibliche Waisen in seiner Obhut hat, und sie wegen ihrer Schönheit
und ihres Geldes heiraten möchte, so sollte er dieses nicht tun, wenn er
befürchtet, der Waisen Unrecht zuzufügen, da die Waise keinen anderen
Beschützer ausser ihm hat. Er hat das Recht, statt der Waise zwei bis vier
andere Frauen zu heiraten.[11]
2) Als dieser Vers (4,2) geoffenbart wurde,
fürchteten sich viele Männer, Vormu-nd einer Waisen zu werden, um nicht in
Gefahr zu geraten, unrecht zu handeln. Viele dieser Männer hatten jedoch zehn
oder mehr Frauen. Hier laufen sie
gleichermassen Gefahr, gegenüber den Frauen ungerecht zu sein. Infolgedes-sen
folgte der Vers 3 der Surah 4, d. h. sie sollten sich auf vier oder weniger
Frauen beschränken.[12]
3) Wenn sich ein
Mann fürchtet, gegenüber einer Waisen ungerecht zu sein, so soll er sich auch
vor der Unzucht (zina) fürchten, und Frauen heiraten, die ihm erlaubt sind und
nicht anderen nachlaufen.[13]
4) Wenn jemand eine begüterte Waise in seiner
Obhut hat, und er ist mit mehreren Frauen verheiratet, dann sollte er sich mit
so viel Frauen begnügen, wie er aus seinem Vermögen ernähren kann. Er sollte
das Vermögen der Waise für den Unterhalt seiner Frau (en) nicht antasten. Wenn
er vier Frauen nicht unter-halten kann, sollte er notfalls nur eine Frau haben.[14]
Da diese Qurʾānstelle die einzige
ist, die eine Mehrehe erlaubt, behandelten die Kommentatoren die Mehrehe hier
stets im Zusammenhang mit dem Verhältnis eines Vormundes zu der von ihm
beschützten Waisen. Die Version zwei bis vier gibt dane-ben noch eine Begründung
der Mehrehe bzw. der Beschränkung in der Anzahl der Ehefrauen. Eine Mehrehe
sollte der Mann eingehen, wenn zu befürchten ist, dass er mit einer Frau nicht
auskommt, und er deshalb Ehebruch betreibt. Mehr als vier Frauen sollte er aber
nicht heiraten, da es ihm nicht möglich sein wird, wenn er mehr Frauen hat,
seine Frauen gerecht zu behandeln. Ausserdem sollte er nur so viele (aber höchstens
vier) Frauen heiraten, wie er ernähren kann.
Die modernen Kommentatoren
sehen die Polygamie ebenfalls als rechtmässig an. Quṭb führt hierzu
folgende Gründe an:
1) Durch einen Krieg
wird stets die Anzahl der Männer verringert, so dass in diesem Fall
Frauenüberschuss herrscht.
2) Falls eine Frau schwer krank oder unfruchtbar
ist, und der Mann sich trotzdem nicht von ihr trennen möchte, ist die Mehrehe
hier ein Ausweg.
3) Wenn ein Mann ein so starkes Triebleben hat,
dass er mit einer Frau nicht auskommt, dann darf er noch weitere Frauen
heiraten.[15]
Šaltūt sagt zum Problem
der Polygamie, dass einige Wissenschaftler der Ansicht seien, die Polygamie sei
ein Ergebnis des Egoismus des Mannes, der von vielen Frauen Besitz ergreifen
möchte. Das Phänomen der Polygamie leite sich aber nicht vom Egoismus des
Mannes ab, sondern von seiner natürlichen Veranlagung und seien
Lebensumständen:
1) Die Sexualität
des Mannes ist stärker und länger andauernd.
2) Während der
Menstruation, Schwangerschaft und Niederkunft kann der Mann seiner Frau nicht
beiwohnen.
3) Eine Frau altert
schneller als der Mann und ihr Verlangen nach einem Mann nimmt schnell ab.
4) Die Männer werden
durch Krieg dezimiert, ausserdem ist die Rate der Sterbli-chkeit bei männlichen
Kleinkindern höher.
5) Das Berufsleben
bringt es mit sich, dass der Mann grösseren gesundheitlichen Gefahren
ausgesetzt ist.
Die Polygamie ist nach Šaltūt
nicht erst vom Islam eingeführt, sondern diese Eheform leitet sich aus dem
Daseinskampf des Menschen ab.
Der Islam hat die Mehrehe
aus zwei Gesichtspunkten eingeführt:
1) Der Mann soll nicht in Versuchung kommen,
Unzucht zu betreiben oder zu leiden, wenn er seiner Frau nicht beiwohnen kann.
2) Die Zahl der Frauen wurde beschränkt, damit
der Mann seine Frauen gerecht behandeln kann, und der Frieden innerhalb der
Familie nicht gestört wird.[16]
Qāsim Amīn versucht dagegen
durch den Qurʾān zu beweisen, dass die
Polygamie abgeschafft werden muss. Er vergleicht den Vers 3 Surah 4 mit dem
Vers 129 der gleichen Surah und kommt zu dem Urteil, dass man aus diesen Versen
auch ablei-ten könne, dass die Polygamie nicht erlaubt ist. Diese Auslegung
stehe aber der Tradition entgegen. Nehmen wir nun an, die Gesellschaft hätte
die Polygamie nicht verwirklicht, hätte man aus diesen beiden Versen entnehmen
können, die Poly-gamie ist verboten.[17]
Amīn sieht die Mehrehe nur in zwei Fällen als gerechtfertigt an:
1) Wenn die Frau unheilbar krank ist.
2) Wenn die Frau unfruchtbar ist.[18]
Nach ʿAbduh hat eine
Mehrehe zur Voraussetzung, dass der Mann charakterfest genug und wirtschaftlich
imstande ist, seine Frauen gleich zu behandeln. Da es aber menschlich kaum
denkbar ist, dass jener Bedingung entsprochen werden könne, so wird dieses
koranische Zugeständnis der Polygamie von selbst hinfällig.[19]
Weiter leitet ʿAbduh das Gebot zur Einehe
aus dem islamischen Erbrecht ab, indem
bestimmt wird, dass nach dem Tod des Ehemannes in einer polygamen Ehe die
Gattinnen zusammen nur einen Gattenanteil erhalten.[20]
Die
Opposition gegen das Recht des Mannes zur Mehrehe hat bisher keinen Erfolg
gehabt.[21]
Ein Sprecher des Familienausschusses gab bekannt, dass eingebrachte Ent-würfe
zum Verbot der Polygamie von ihnen abgelehnt werden, da sich heutzutage nur
noch 0, 02 % zur Mehrehe entschliessen. Für eine solche Minderheit sei ein
solches Gesetz nicht erforderlich. Trotzdem wurde der ersten Ehefrau das Recht
gegeben, die Ehescheidung zu verlangen, falls sie mit einer weiteren Eheschliessung
ihres Mannes nicht einverstanden ist und dies als Beleidigung ansieht. Diese
Zubil-ligung stützt sich auf die Ansicht der Fuqahāʾ, die der Frau das
Recht geben, die Ehescheidung zu verlangen, sollte sie sich durch ihren Ehemann
beleidigt fühlen.[22]
Für
den Propheten r galt die Beschränkung auf vier Frauen nicht.
Über die Sonderstellung der Propheten hinsichtlich der Ehe gibt die Surah 33
Vers 50 ff. Auskunft.[23]
Die muslimischen Gelehrten versuchten zu beweisen, dass der Prophet nicht aus
sexuellen Gründen die erlaubte Zahl an Ehefrauen überschritten hat, sondern folgende Gründe eine Ausnahme bildeten:
1) Er heiratete ʿĀʾišah und Ḥafṣah, um ihre Väter Abū Bakr und ʿOmar zu ehren.
2) Ğuweiriyyah nahm er
zur Frau, um ihren Stamm an den Islam zu binden.
3) Ommo Ḥubeibah und Ommo
Salamah ehelichte er, weil ihre Ehemänner gestorben waren, und er sie in seine
Obhut nehmen wollte.
4) Zeinab bint Ğaḥš nahm er zur Frau,
weil sie von seinem Adoptivsohn geschieden war, und der Prophet zeigen wollte,
dass es entgegen der Ansicht der Araber erlaubt war, die geschiedene Frau des
Adoptivsohns zu heiraten.[24]
Für die übrigen
Eheschliessungen des Propheten werden ebenfalls Begründungen aus dem
politischen und sozialen Bereich gegeben.[25]
Dirwazah[26]
meint, dass die Vielehe Muḥammads r
den normalen Gepflogen-heiten der Araber entsprochen habe. Später hatte er
durch eine Offenbarung die Zahl der Ehefrauen eingeschränkt. Alle Muslime
liessen sich daraufhin von den über-schüssigen Frauen scheiden. Da die
geschiedenen Frauen des Propheten r
nicht hätten heiraten dürfen,[27]
habe sich der Prophet r von keiner
Frau getrennt, aber auch keine weitere Frau geheiratet.[28]
Aus dem vorher Erwähnten erklärt sich, dass die drei prophetischen
Religionen (Judentum, Christentum und Islam) die Polygamie
erlauben. Sie ist eine soziale Notwendigkeit und ein Schutz für die Frauen;
durch Polygamie wird die Gesell-schaft vor der freien Ausübung des Geschlechtsverkehrs
bewahrt
* * *
[1]) 1. Könige 11: 3
[2]) 1. Mose 4: 19-23
[3]) Matthäus 5: 17-18
[4]) Lukas 12: 13-14
[5]) 3. Moses 20: 10-13
[6]) Johannes 8: 3-11
1)
5. Moses 24: 1
[7]) Matthäus 19: 3-10
[9]) Matthäus 5: 31-32
[10]) 1. Korinther 7: 2-3
[19]) Goldziher: Die Richtungen ...
360 f.
[20]) Ebenda 362.
[24]) Surah 33,37.
[26])
Dirwaza VII, 276 ff.
[27]) s.
Surah 33, 53.
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