Erziehung und Ausbildung
der FrauIm Islam
Prof. Dr. M. Shama
Das Thema „Frau“ stösst auf grosses Interesse der mit ideologischen und
gesell
schaftlichen
Fragen Beschäftigten, ja es besetzt sogar
fast die erste Stelle bei den an den Empfehlungen und Grundlagen der
Religionen Interessierten und nimmt grossen Raum auf den Seiten des Angriffs
gegen den Islam ein. So beginnt kein nichtmuslimischer Schriftsteller die
islamischen Fragen zu behandeln ohne die Stellung der Frau im Islam als
Ausgangspunkt für den Angriff gegen ihn zu nehmen. Ja, viele in der breiten
Masse in den nichtislamischen Ländern wissen sogar nichts vom Islam als das,
dass er dem Mann mehrere Frauen erlaubt sowie alkoholische Getränke und
Schweinefleisch verbietet. Das ist nichts weiter als ein Ergebnis vom vielen
unterstreichenden Darlegen dieser Fragen durch deren Denker. Sie nehmen die
Stellung der Frau in der zeit-genössischen islamischen Gesellschaft als Material
für den Angriff gegen den Islam. So erwähnen sie, dass er dem Mann erlaube, sie
als eine Ware zu nehmen, die der Vater dem Ehemann zu einem Preis verkaufe,
dessen er sich allein erfreue ohne ihr etwas davon zu geben. Der Ehemann behandle
sie so wie er mit dem, was er an Einrichtung und Hab und Gut besitze, Handel
und Geschäfte treibe. Sie habe also nichts zu sagen und beim Fassen eines
Beschlusses ihres Mannes bedeute ihre Anwesenheit nichts. Der Ehemann schere
sich nicht um ihre Gefühle und Empfindungen und interessiere sich nicht für
das, zu dem sie neige oder was sie in den Fragen des Lebens und dessen
Angelegenheiten wünsche.
Die islamische Gesellschaft bietet jenen Leuten Material, auf das diese
sich bei ihrem Angriff auf den Islam beziehen, und zwar, dass es unter den
Muslimen – besonders in Kreisen, die das Orientieren an der Religion vorgeben
vorherrschend ist, dass die Frau bei ihrem Mann nichts mitzureden habe. Ihr
Vater wähle für sie ihren Mann aus oder akzeptiere, wer bei ihr vorstellig
werde, ohne sie zu Rate zu ziehen. Widersetze sie sich, zwinge er sie mit
Gewalt sich seiner Anordnung zu fügen. Sie werde zu ihrem Mann geführt wie
Weidetiere zu ihrem Schlachthof geführt würden. Ausserdem eigneten sich einige
Väter das an, was der Heirats-willige an Brautgeld bezahlt, da sie glaubten das
Recht zu haben es als Gegenleistung für die Erziehung der Tochter zu nehmen.
Und deren Leben bei ihrem Mann sei nicht besser als bei ihrem Vater, sie werde
also in keiner Angelegenheit ihres Lebens zu Rate gezogen. Sie müsse vielmehr
hören und gehorchen, sogar in ihren privaten Sachen
Dieser Entwurf stimmt nicht mit dem überein, was der Islam der Frau an
Rechten gibt. Denn er unterscheidet nicht zwischen männlich und weiblich in
dem, zu was er die Väter verpflichtet und was er ihnen gegenüber ihren Kindern
zu tun empfiehlt.
So ist die Ausbildung ein Recht für das Mädchen genauso wie sie ein Recht
für den Jungen ist. Enthält nun ein Vater seiner Tochter dieses Recht vor, darf
er nicht vorbrin-gen, was der Islam dem Verhalten der Frau auferlegt, da dies
ein schlechtes Bild des Islam unter denen vermittelt, die ihn studieren wollen
und in ihm nach der Realität suchen, die sie in ihren Gesellschaften verloren
haben. Und so wenden sie sich von ihm ab und einer anderen Richtung zu oder
greifen ihn an, wenn sie Angriffsmittel
haben, und entstellen sein Bild vor der breiten Masse ihres Volkes.
Was sagt der Islam
über Ausbildung dr Frau
In
vielen Qurʾānversen wird der Wert des Wissens zum Ausdruck gebra-cht und die
Muslime aufgefordert nach Wissen zu streben. Der Qurʾān lautet u. a.: „...
sprich: ‚Sind etwa gleich diejenigen, welche wissen, und jene, welche nicht
wissen? Nur die Verstän-digen lassen sich warnen.“ (39,9) „Allah wird erhöhen
diejenigen von euch, die glauben, und denen das Wissen gegeben ward, um
Stufen.“ (58,11) Auch in den Überlieferungen gibt es Ḥadīṯe, deren Inhalt die
Muslime zum Lernen auffordert. „Die beste Spende ist zu lernen, um dann seine
muslimischen Brüder davon zu lehren.“[1] „Die
Wissenschaftler sind Erbende der Gesandten des Gottes.“[2] „Die
Suche nach Wissen ist die Pflicht jedes Muslim und (jeder) Muslimin.“[3]
In der
Tat hat sich Muhammad r bemüht, die Muslime lesen und schreiben zu lassen; nach
seinem ersten Feldzug (Ġazwat
Badr) gab er denjenigen Gefangenen als Lohn die Freiheit zurück, welche zehn
muslimischen Kindern das Schreiben und Lesen gelehrt hatten.[4] Er
selbst hat bis zu seinem Tod Männer und Frauen in der Moschee „unterrichtet.“[5] Die
Muslime haben in den ersten Jahrhunderten die religiöse Wissen-schaft mit
ungeheurem Eifer und Fleiss studiert. Der alte Islam macht das Studium zur religiösen
Pflicht jedes Gläubigen ohne Unterschied des Geschlechtes, und die Frauen haben
in den frühen Jahrhunderten an der Pflege der religiösen Wissenschaft viel mehr
Anteil genommen, als man gewöhnlich voraus-zusetzen pflegt.“[6] Daher
gab es unter den Wissenschaftlern Frauen, welche das Professorenamt
innehatten; zu ihren Studenten gehörten Männer und Frauen.2 Es leuchtet
ein, dass es vom islamischen Standpunkt aus kein Verbot für Frauen gab, am
Unterricht mit Männern teilzunehmen.
Die
Stellungnahme Šalabīs,
dass keine jungen Frauen in frühislamischer Zeit am Unterricht teilgenommen
haben, ist nicht stichhaltig. Er stützt sich u.a. auf folgende Berichte:
1. Die
Frauen hätten dem Prophet gesagt. Die Männer haben uns von dir abged-rängt. Gib
uns einen Tag für uns. Er gab ihnen einen Tag, an dem sie von ihm gelehrt
wurden.
2.
Al-ʾAʿšā hat seine Tochter gelehrt.[7]
Hieraus
entnimmt er, dass die Frauen von einem Familienmitglied oder einem Privatlehrer
unterrichtet wurden. Das erste Argument bedeutet nicht, dass sich der Prophet
bzw. die Muslime an diese Unterrichtsart gehalten haben, ausserdem infor-mieren
uns zahlreiche Berichte über gemeinsamen Unterricht.[8] Auch Šalabī
selbst berichtet in demselben Buch, dass eine Frau vor fünfhundert Studentinnen
und Studenten „Vorlesungen“ abgehalten hat.[9]
Im Gegensatz zu der im Orient und Okzident
verbreiteten Ansicht hatte die Frau schon in frühislamischer Zeit am Unterricht
teilgenommen. Auch im islamischen Mittel-alter begegnen wir Frauen, die ein
hohes Ansehen in der Wissenschaft haben. Hier seien nur
einige angeführt:[10] Ummo
Al-Muʾay-yad Zeinab Bint Abī Al-Qāsim ( أم المؤيد
زينب بنت أبى القاسم ) (gest. 615/1218) studierte bei Abī Muhammad
Ismāʿīl Ibn Abī Al-Qāsim An-Neisābūrī, bei Abī Al Qāsim Zāhir ibn Ṭāhir, bei
Abī Bakr Waǧīh Ibn Ṭāhir und bei Al-Futūḥ ʿAbd Al-Wahhāb Ibn Šāh Aš-Šaḏyāī,
Al-Ḥāfiẓ Abu al-Ḥasan ʿAbd Al-Ġāfir Ibn Ismāʿīl und Az-Zamaḫšarī gaben ihr die
Erlaubnis, Unterricht zu erteilen. (Iǧāzah:
وأجاز لها الحافظ أبو
لحسن عبد لغافر بن إسماعيل بن عبد لغافر الفارسي، لعلامة أبو لقاسم الزمخشري صاحب الكشاف، وغيرهما من
السادات الحفاظ.
Ibn
Ḫllikān berichtet, dass er bei ihr eine iǧāzah. (Diplom) geschrieben hat.
Fāṭimah Bint Muhammad Ibn Aḥmad
AR-Tanūḫiyyah(778=1378) war eine Ḥadīṯ-wissen-lehrerin.
Ihr berühmtester Schüler war Al-Ḥāfiẓ ibn Ḥaǧar. Sitt Al-Quḍāh Maryam Bint ʿAbd
Ar-Raḥmān, eine Rechtsgelehrte der ḥanbalitischen Schule, unterrichtete in
Nablus und Damaskus.
Auch im
9. Jahrhundert n.H. findet man Beweise, dass die Frau wissenschaftlich tätig
sein konnte. So war z.B. Fāṭimah Bint Ḫalīl Ibn Aḥmad Al-Kināniyyah (gest. 838/1434) eine Ḥadīṯwissenschaftlerin, die in Ägypten
lehrte.
أجازها بعض علماء عصرها
، وتفردت بالواية عن كثير منهم ، وخرج لها القبانى "مشيخة" [12]
Der
Niedergang der wissenschaftlichen Tätigkeit bahnte sich in Ägypten am Ende des
neunten Jahrhundert n. H. schon unter der Herrschaft der Mamlūken an.[13] Nach
der Eroberung Ägyptens durch die ʿOṯmanen (922/1517) setzte sich dieser
Niedergang in verstärktem Masse fort.
والحق أن الفتح العثماني
قضى على مظاهر النشاط الفكري التي كانت مزدهرة في عهد السلاطين. فقد عنى الغزاة
الأتراك عقب الفتح مباشرة بتجريد مصر الإسلامية من ذخائرها النفيسة في الآثار
والكتب، وحمل كل ذلك إلى القسطنطينية ......وهكذا انهار صرح الحركة الفكرية الإسلامية
وتضاءل شأن العلوم والفنون، وانحط معيار الثقافة ..... ولم يبق سوى آثار دارسة. [14]
Nach der
Zerstörung des wissenschaftlichen Lebens- und Erziehungssystems durch die ʿOṯmanen,
konnte sich Ägypten in den darauffolgenden Jahrhunderten nicht erholen, zumal
neue Impulse seitens der ʿOṯmanen ausblieben. Von der zweiten Hälfte des
sech-zehnten Jahrhunderts machten sich auch im ʿosmanischen Erziehungssystem
Erstarrung und Stagnation bemerkbar.[15] Šalabī
wendet sich gegen die Auffassung, dass die Frau während der Zeit der
Fremdherrschaft insbesondere von dem rituellen Niedergang betroffen worden sei:
Diese
Epoche der Stagnation wurde in Ägypten erst überwunden, als unter dem Einfluss
europäischer Gedanken die ersten Reformen in Ägypten durchgeführt wur-den. Im 19. Jahrhundert wurden in Ägypten die
ersten Versuche gemacht, Mädchenschulen zu gründen. Muhammad ʿAlī, der Ägypten
ohne Rücksicht auf die starke Opposition euro-pärisierte, wagte es nicht,
Schulen für Mädchen einzurichten, da in diesem Punkt die Opposition zu gross
wäre.[17] Er begnügt
sich damit, eine Schule für Hebammen einzu-richten[18] . Später wurde auf Betreiben einer Gattin[19] des Ḫidīwī
Ismāʿīl in Kairo die erste Schule für Mädchen gegründet und weitere Schulen
folgten.[20]
Dieser
Schritt fand in der islamischen Welt keinen Beifall.[21] Nach
Ismāʿīls Verbannung (1879) wurde sie wieder geschlossen.[22] In der
Folgezeit (Ende des 19. Jahrhunderts) trat Qāsim Amīn für die Ausbildung der
Frau ein: Jeder Vater soll seine Tochter lernen lassen, wie es ihm möglich
ist.“ [23]
Im 20.
Jahrhundert ist es der Emanzipationsbewegung gelungen, der Frau die gleichen
Ausbildungsmöglichkeiten zu geben, wie
den Männern. Dabei haben die Vertreter der Emanzipation sich dadurch Gehör in
der Öffentlichkeit verschafft, dass sie auf die islamische Tradition verwiesen.
Immer wieder betonen sie, dass der Islam die Ausbildung der Frau nicht
verbiete, und dass bereits in frühislamischer Zeit alle Ausbildungsmöglichkeiten
den Frauen offenstanden.
Im Jahre 1930 bewarben sich zum ersten Mal in
Ägypten die Mädchen an der Fuʾād Universität Kairo um Aufnahme. Erst die Rücktrittsdrohung
des Rektors jener Universität, Luṭfī as-Sayyid bewirkte die Aufnahme von
dreizehn Mädchen.[24] Jetzt dürfen
die Frauen an allen Universitäten studieren, sogar an der Azhar.
[3] ) At-Tibrīzī sagte hierzu, dass der Prophet nur von der Pflicht des Muslims zum
Herren gesprochen habe. Der Zusatz "und jeder Muslimin” (wa muslimah) sei
später in den× gelangt. Dieser Zusatz sei aber bezeichnend dafür, dass die Gläubigen
auch die Ausbildung der Frau als selbstverständlich ansahen. I, 76.
[10] ) Weitere Beispiele sind :
حفصة الركونية ( 861 هـ 1190م) AÛ-ÚarkalÐ II, 292.
حمدة بنت زياد العوفى (600 هـ
1204م)
“ II, 305
سيدة بنت عبدالغنى العبدرية ( 647
هـ 1249م)
“ III, 216
أمة اللطيف بنت الناصح (653
هـ 1255م) “ I, 354.
زينب بنت مكى (688 هـ
1289م)
“ III, 107
سارة بنت أحمد الحلبية (700 هـ
1300م) “ III, 212
زينب بنت سليمان (705 هـ
1306و) “ III, 107.
ست الملوك فاطمة بنت على (710
هـ 1310م) “
V, 328
ست الوزراء بنت عمر التنوخية (716 هـ
1316م)
“ III, 121.
صفية بنت المرتضى (771 هـ
1370م) “ III, 297.
عائشة بنت محمد المقدسى (816 هـ
1413م) “
IV, 6
أسماء بنت أبى موسى ( 904 هـ
1498م) “ I, 300.
[15] ) Vgl. Gibb 150.
[18] ) ebenda 205